Mittwoch, 13. Oktober 2021

Dresden, Leipzig, der Genuss und ich

Dresden_Fernsehturm, Schönfelder Hochland

Dresden_Elbtal, Plattform Schwebebahn, Loschwitz

Dresden_BRN 2015, Louisenstraße, Ecke Martin-Luther-Straße, Neustadt

Dresden_Elbwiesen, Sicht auf Marienbrücke und Altstadt, Messegelände

Dresden_Elbradweg, Waldschlösschen

Bilder, die man vielleicht schön findet, vielleicht auch nicht. Ich für meinen Teil fühle jedes von ihnen, weil Dresden ziemlich fest verankert in meinem Herzen sitzt. Kann man Verklärung nennen. Wird's wohl auch sein.

Leipzig dagegen ist eine Stadt, die ich lange überhaupt nicht interessant und eher sinnlos gehypt fand. Vielleicht, weil ich sie direkt vor der Tür hatte und manchmal sieht man ja bekanntlich den Wald vor lauter Bäumen, bla bla… 
Ich entdecke sie nun trotzdem, nicht für eine Woche, nicht für einen spontanen Tagesausflug, sondern jeden Tag aufs Neue, weil ich hier lebe. Seit nunmehr genau fünf Jahren. Zeit für ein Resümee und eine längst überfällige Liebeserklärung. 

Die grauen Herbsttage, die mich nach meinem Umzug 2016 erwarteten und schier endlos erschienen, haben es Leipzig nicht leicht gemacht, sich ansehnlich zu präsentieren. Vor allem aber waren es meine 01099-Arroganz* und die Erinnerungen an die „Heimat“ – ein mittlerweile hässlicher Begriff; Dresden, da wo ich herkomme; die Orte der Kindheit; die Straßen, die Wege, die Gebäude, auf und in denen ich lernte, fühlte und wuchs –, die dafür sorgten, dass ich wenig neutral und offen auf Leipzig blickte. Es fühlte sich an, als hätte ich das Lager gewechselt. Meine beste Freundin, die schöne, manchmal plumpe, manchmal unsichere und doch so liebenswürdige, habe ich eingetauscht gegen eine hippe, junge, selbstbewusste Freundin, die halt nicht ganz so viel Schönheit abbekommen hat. Schönheit ist ja auch nicht alles, ich weiß doch, vor allem wenn es unter der schick dekorierten Oberfläche so heftig bröckelt wie in Dresden. 

Ich blickte anfangs aus den Augen einer Touristin auf Leipzig, vielleicht um noch ein bisschen Abstand zu halten – ganz nach dem Motto: „Nett ist's hier, aber die Rückfahrkarte ist schon gebucht.“ War sie nicht. Ich blieb und näherte mich Schritt für Schritt an mein Leipzig an. So wie ich mich einst auch mit Dresden verbandelt hatte. Meine nahezu perfekte Stadt. Lange begleitete er mich: Der elende Vergleich mit dem ach so Vertrauten, ach so Bekannten, ach so Geschätzten, der den Blick auf das Neue so unendlich trübt.** 

Hinzu kam, dass sich nicht nur meine Anschrift änderte, sondern auch meine hoch angenehme Studienzeit endete und ich damit abrupt vor dem sogenannten Ernst des Lebens stand. Ich traf diesen besagten Ernst in Leipzig und kämpfte mindestens eineinhalb Jahre gegen ihn an. Ich glaubte lange, Leipzig würde mich unzufrieden machen, dabei war es mein Job und die quälende Frage „Quo Vadis?“ 

Es ging vorerst auf einen der Jakobswege (Camino del Norte) zum Pilgern. Der Abstand und das monotone Gehen taten übermäßig gut, sodass ich geerdet neu beginnen konnte und plötzlich öffnete sich mir die Stadt (eigentlich öffnete ich mich) und die Menschen (same here), die mich an ihrem Leipzig teilhaben ließen. Ich denke an rotweinschwere Abende im Piloten. An ausgedehnte Spaziergänge quer durch die Viertel der Stadt bei Wind und Wetter. An die ersten Touren zu neuen Lost Places. An guten Jazz im Noch Besser Leben. An den Moment, als ich die Karl-Heine-Straße in mein Herz schloss, während ich Udonnudeln mit verboten guter Erdnusssoße aß. Und ich erkannte, dass kulinarische Genüsse ganz viel mit Ankommen und Wohlfühlen zu tun haben. Leipzig hat da wirklich so einiges zu bieten und zwar in allen Himmelsrichtungen verteilt. In Leipzig arbeitet und wohnt man nämlich nicht in einem Stadtteil, sondern im Osten, Süden, Westen oder wie ich im Norden. Das habe ich nun auch verstanden.

Meine Top 5 für Speisen: 


Café Pendo ❤ 












und die Top 6 Cafés:


Draußen ists am schönsten im:

Was sollte man sonst noch in Leipzig tun? Einfach loslaufen – und zwar in alle Himmelsrichtungen  und die Augen offen halten. Detaillierte Tipps findet ihr mit Sicherheit im Lonely Planet (die denken nicht nur ans Essen 🙃). Dort wurde Leipzig gerade zum Top-Ziel in Deutschland gekürt. Da ist es wieder, dieses Hypezig :D 

Was bleibt mir zu sagen: Ich bin losgelaufen und angekommen. Ich habe Leipzig mittlerweile sehr sehr lieb und die Rückfahrkarte brauche ich längst nicht mehr. Manchmal blicke ich noch wehmütig in die sächsische Hauptstadt, aber jetzt vor allem, weil ich meine Freunde von dort und vielleicht auch ein bisschen die Unbeschwertheit der Studienzeit, als die Lebensplanung lediglich das nächste Semester umfasste, vermisse. 

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*01099 ist die Postleitzahl der Dresdner Neustadt, das Viertel, in dem ich vor meinem Umzug lebte. Komprimierte Altbauschönheit und alles was Mensch braucht in nächster Nähe. 

**Ein Auszug aus meiner Gedankenwelt der ersten Monate in Leipzig: Wo ist denn nun ein Café wie das Combo? Wo probt der Kneipenchor? Gibt es eine Verbrauchergemeinschaft und wenn ja, wann kann ich beitreten? Oh schade, im "Kleinen Haus" kommt heute was Cooles, aber 1,5 Stunden Anfahrt sind etwas arg lang. Könnten die Jazzfanatics nicht regelmäßig in Leipzig spielen? Gibts hier eigentlich Berge in der Nähe? Ich war wirklich lange nicht mehr im Thalia. Die Sachsenbrücke soll das Assieck von Leipzig sein? Die ist doch mitten im Wald. Wo ist der nächste Umsonstladen? Und warum ist hier alles so schrecklich verteilt??? 


Leipzig_Neues Rathaus, Martin-Luther-Ring, Zentrum Süd

Leipzig_Fockeberg mit Aussicht auf die Innenstadt, Südvorstadt

Leipzig_Karl-Liebknecht-Straße an der Feinkost, Südvorstadt 

Leipzig_Johannisplatz, Blick auf das MDR Hochhaus, Zentrum Südost

Leipzig_Zeppelinbrücke, Jahnallee, Zentrum West, Lindenau






Dienstag, 14. April 2020

Camino del Norte – Folge dem gelben Pfeil in dir III

Jetzt, da unsere Pilgerpläne für den Camino Portugues im Herbst 2020 durch die Corona-Pandemie erst einmal auf Eis liegen, ist es umso schöner, die Gedanken von zu Hause aus an die spanische Nordküste abdriften zu lassen. Freiheit definiert sich diese Tage anders als wir Generation Y - Menschen es kennen. Freiheit liegt jetzt in den kleinen Dinge, die wir sonst für selbstverständlich gehalten haben: der geöffnete Bäcker am Feiertag, Kaffee aus der Thermoskanne am See, der zum Glück noch im Radius des Wohnortes liegt, ein eigener Balkon, auf dem wir die Sonne und ein gutes Buch genießen können. Ich bin nicht nur dankbar für die Umstände, unter denen ich Corona erlebe, sondern auch für das WIR und dafür, dass wir gesund sind. Und trotzdem klopft das Fernweh nahezu täglich an. Ich bin auf der Welt zu Hause und darf gerade nur den Hausflur betreten. Freiheit beginnt diese Tage im Kopf. 

Die Corona-Pandemie und das Pilgern: Darf ich derzeit pilgern gehen?


Für alle, die dieses Jahr einen der Jakobswege bestreiten wollen, stellt sich die Frage: Geht das? Viele Pilger-Experten raten gerade davon ab. Ich stimme ihnen uneingeschränkt zu. Die Situation ist besonders in Spanien noch sehr angespannt. Der Flugverkehr ist eingeschränkt, die Ausgangssperre wurde unlängst bis zum 27. April 2020 verlängert. Auch danach wird sich das Land nur langsam wieder öffnen. 
Die Pilgerherbergen sind größtenteils sehr klein, allein die Abstände der Betten nicht ausreichend, um sich gut zu schützen. Da die Refugios ehrenamtlich geführt werden, stelle ich mir auch den Mehraufwand durch Desinfektion und zusätzliche Reinigung extrem schwierig vor. Es ist wie mit jedem Tourist: Viele Regionen Spaniens sind auf Besucher angewiesen, aber jeder Tourist, der sich infiziert, belastet auch das so schon krankende Gesundheitssystem umso mehr. Gerade beim Radpilgern können Unfälle passieren und selbst diejenigen, die zu Fuß pilgern, werden auf den letzten 100 km bis nach Santiago viele Gleichgesinnte treffen. Dort pilgern normalerweise ganze Gruppen und Schulklassen. Von Sicherheitsabständen kann da kaum die Rede sein. Momentan sind – wie auch hierzulande – die Kirchen geschlossen. Die Kathedrale von Santiago de Compostela ist da nicht ausgeschlossen. Selbst für ungläubige PilgerInnen ist ein Besuch dieser ein Höhepunkt am Ende der langen Reise. Daher rate ich zu Geduld und wünsche uns allen, dass das Pilgern vielleicht schon im Herbst dieses Jahres wieder möglich ist. 
Es wird sich zeigen, wie die Herbergen mit der Corona-Pandemie umgehen. Sollte der Betrieb wieder aufgenommen werden, empfehle ich, diese auch zu nutzen! 


Die Kathedrale von Santiago de Compostela ist derzeit aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen.  


Ein echter Pilger übernachtet in der Herberge. Zumindest meistens.


Mit Sauna und FKK aufgewachsen, schreckten uns gemischte Sammelunterkünfte nicht ab. Es ist ganz klar gewöhnungsbedürftig, mit wildfremden Menschen in einem kleinen Raum zu nächtigen, aber geübte Oropax-Nutzer und Menschen ohne Schlafprobleme werden es gut überstehen. „Interessant“ waren die gemischten Bäder in einigen Herbergen. Es gab nur wenige männliche Personen, die die Toiletten dreckig hinterlassen haben. Aber es gab sie. 
Alle Herbergen, die wir aufsuchten, waren trotz der Vielzahl an Gästen größtenteils sauber, die Matratzen bequem und die Räumlichkeiten zwar sporadisch, aber völlig ausreichend. Wir haben keine einzige Bettwanze gesehen/gefühlt, nur einmal im altehrwürdigen Kloster von Sobrado dos Monxes ist im Doppelstockbett ein Lattenrost unerwartet zusammengebrochen.
Ich habe eine Hausstauballergie und hatte nur in zwei Unterkünften (Soto de Luiña - Alte Schule und Albergue San Martin - Altes Pfarrhaus, beides offizielle Herbergen) leichte Probleme. 
Im Durchschnitt schlafen ca. sechs Pilger in einem Raum, der meist vergleichbar mit einem Jugendherbergszimmer ist. Die größte und offenste Herberge, die wir kennengelernt haben, liegt in Baamonde mit ca. 40 Betten in einem großen Raum. Auch das war auszuhalten, bis Punkt fünf in der Früh ein polyphoner Handyalarm erklang. Nach und nach waren alle wach außer der Besitzer. Bis auf diese Ausnahme erschienen uns die PilgerInnen aber alle sehr rücksichtsvoll. 


Gemütlich, nicht? So sieht es in der öffentlichen Herberge von Requerada aus. 

Es gibt für 12€ pro PilgerIn private Herbergen, die ein wenig komfortabler sind. Ein weiterer riesengroßer Vorteil ist, dass sie im Vorfeld reserviert werden können. Viele Wanderer – zu wenig Betten, das kann zu großem Frust führen, denn dann muss man zur Not kilometerweit weitergehen. Und weitergehen geht mit diversen Blasen oder aufgeriebenen Fersen manchmal einfach nicht mehr. Eine Reservierung entspannt immens. 

Übernachtungsmöglichkeiten mit höherem Standard bieten vor allem die größeren Orte. Ein bisschen Privatsphäre, richtige Bettwäsche und ein eigenes Bad sind schon ab und an eine sehr angenehme Abwechslung. Für Villaviciosa hatten wir eine ***Hotel-Reservierung. Das Personal war sichtlich irritiert und irgendwie auch abweisend, als da zwei Pilgernde nach 37 km Fußmarsch ins schicke Foyer humpelten. Für uns war es eine wohltuende Ausnahme und nichts spricht gegen einen kleinen Luxus bei all den Strapazen, aber dennoch würde ich immer wieder die Refugios vorziehen. Sie gehören zum Pilgern wie Zelte zu Festivals. Innere Einkehr findet man im Übrigen beim kilometerlangen Laufen, aber auch durch die Gespräche mit anderen Peregrinos aus der ganzen Welt, die sich nachmittags in den Herbergen tummeln. Im Hotel ist man mit seinen Gedanken und Schmerzen allein.

Hervorheben will ich fünf Herbergen, die mit viel Liebe und Erfahrung geführt werden. 

Albergue Llanes Playa de Poo - Idylle und Strandnähe! 

Albergue Llanes Playa de Poo

  • privat, deutsch-französisch geführt
  • Küche, Frühstücksangebot, Garten, Trockner, Waschmaschine vorhanden
  • Strandnähe
  • 12€ pro Nacht / Reservierung möglich


Albergue San Martin: Altes Pfarrhaus - Liegt auf einem Hügel. Der beschwerliche Endspurt lohnt sich aber! 
Albergue San Martin: Altes Pfarrhaus

  • José (Herbergsvater) kümmert sich liebevoll um alle Gäste
  • Waschmaschine, Trockner, kleine und größere Schafsäle, Küche, Garten vorhanden
  • gegen Spende 


La Xana - Eng, aber getrennte Bäder und Licht/Steckdose am Bett. Das ist purer Luxus!
La Xana im Ort La Caridad

  • privat
  • m/w-Bad
  • Doppelstockbetten mit Lampe und Steckdose, WLAN, Café, Frühstücksangebot vorhanden
  • 12€ pro Nacht, Reservierung möglich 

O-Xistral - Schneeweiße Bettwäsche, ein wunderschönes, sauberes Haus mit Garten, tolles Essen. Pilger-Luxus für 12€.
Albergue O-Xistral

  • privat
  • sehr gutes Pilgermahl (10€) & Frühstück
  • extrem sauber
  • Gemeinschaftsraum, Garten, Küche vorhanden
  • 12€ pro Nacht, Reservierung möglich

Kloster von Sobrado dos Monxes - eine der schönsten Unterkünfte auf unserem Weg.
Kloster von Sobrado dos Monxes

  • Gäste schlafen in alten Ziegenställen (ca. 8 Betten pro Raum)
  • die Klosteranlage ist umwerfend schön, alles etwas klapprig, aber charmant ohne Ende
  • öffnet erst 16 Uhr seine Pforten
  • 6€ pro Nacht, keine Reservierung möglich, aber genug Platz 
  • Einmalbettlaken kann man sich in der anderen Herberge des Ortes (500m vom Marktplatz entfernt) kaufen.


Cimex lextularius - die Bettwanze, das Biest


Um die Gefahr von unliebsamen Bettwanzen zu minimieren, kann man in fast allen Herbergen für einen Euro ein Einmalbettlaken an der Rezeption erwerben. Wir haben es manchmal mehrmals benutzt. Es ist hell und Bettwanzen wären darauf deutlich erkennbar. Einige PilgerInnen haben Spannbettlaken im Gepäck. Aber konsequenterweise müssten diese dann häufig gewaschen werden, da sie jeden Abend auf eine neue Matratze gestülpt werden und Bettwanzen darauf viel eher eine Chance haben, mit auf Reisen genommen zu werden. 
Einen Tipp, den wir unterwegs erhalten haben, will ich an dieser Stelle noch loswerden: Bettwanzen sind nicht einfach irgendwann da, sondern der Wanderer schleppt sie unbewusst selbst an. Man kann die Gefahr verringern, wenn man seinen Rucksack oder Klamotten nicht im hohen Gras ablegt. Große Mülltüten schützen den Rucksack zum Beispiel, wenn man im Freien schläft. 

Das Corona-Virus, Bettwanzen, ekelige Toiletten, ich springe von einem Thema zum nächsten...  Eine Sache hatte ich noch versprochen: Die PDF-Vorlage für ein Pilgertagebuch, wie ich es genutzt habe. Hätte ich dieses damals nicht fleißig gefüllt, könnte ich heute gar nicht so viel erzählen :) 
Download hier: PDF-Vorlage für ein Pilgertagebuch.


Samstag, 11. April 2020

Camino del Norte – Folge dem gelben Pfeil in dir II

Nun denn – hier ein paar hoffentlich nützliche Gedanken zur Vorbereitung, Ausrüstung und Packliste für (d)ein gelungenes Abenteuer auf dem Camino del Norte. 

Planung? ja, bitte!


Wann und wie lange man pilgert, wird meist von den zur Verfügung stehenden Urlaubstagen determiniert. Wir waren drei Wochen unterwegs. Für mich war die Zeit optimal, auch wenn ich gern auf vier Wochen verlängert hätte, um von Santiago noch weiter zur Atlantikküste zu laufen.
Viel wichtiger ist aber die Reisezeit. Ich glaube, hier ist der gesunde Menschenverstand gefragt. Der Frühling eignet sich genauso wie der Spätsommer/Herbst. Einige Herbergen haben zwar ganzjährig geöffnet, der Winter ist allerdings zu feucht und der Sommer zu heiß. Allergiker vertragen sicherlich den Herbst besser als das Frühjahr. Für uns war der September der perfekte Monat. Früh am Morgen war es meist noch frisch, im Laufe des Tages wurde es allerdings teilweise anstrengend heiß, dafür hatten wir kaum Regen. Wir sind meist zwischen 6:00 – 7:00 Uhr aufgebrochen, sodass wir den größten Teil der Tagesetappe bei milden Temperaturen zurücklegen konnten. 


Durch unsere recht strikte Planung hatten wir die Möglichkeit, Etappenziele gezielt festzulegen, konnten in den größeren Städten Gijon und Santiago Pensionen vorbuchen und wussten in etwa, wie viele Kilometer wir in einer begrenzten Anzahl von Tagen zu absolvieren hatten. Das bedeutete an manchen Tagen Stress, hat aber auch extrem motiviert und unsere Kondition in einem angenehmen Maß herausgefordert. 
Wer ohne Zeitlimit reist, kann sich natürlich viel besser treiben lassen und besonders die Anfangsetappen schonender gestalten, sich Zeit lassen, die Orte besser kennenlernen und von Santiago aus gegebenenfalls sogar noch weiter an den Atlantik zum Kap Finisterre – dem sog. Ende der Welt (zumindest der iberischen Halbinsel) – laufen. 

Eine der schönsten Etappen in Asturien: Poo de Planes - Ribadesella (27,5 km)
Das Pilgern ganz ohne Vorbereitung ist sicherlich aufgrund der vielen leitenden Pfeile möglich, aber irgendwie auch ein wenig tollkühn. Man braucht zumindest ein eigeneZelt, da nicht alle Orte über Herbergen verfügen oder manche am Nachmittag einfach schon voll sind. Kommt schlechtes Wetter oder Unwohlsein hinzu, kann das ziemlich frustrierend sein. Außerdem hat auch der Küstenweg „Umwege“, die man sich sparen kann, oder aber Alternativrouten, die landschaftlich empfehlenswerter sind. Es hilft also ungemein, sich mit mindestens einem der beiden Reiseführer (Outdoor: „der Gelbe“  oder Rother Wanderführer: „der Rote“) auszustatten. Darin findet man neben den detaillierten Wegbeschreibungen auch Höhenprofile sowie Empfehlungen und Kontaktdaten zu Privatunterkünften jenseits der offiziellen Pilgerherbergen. 


Wir sind auf dem richtigen Weg! Yeah!

Der Pilgerpass - la Credecial 


Unter anderem bei der Deutschen Jakobus Gesellschaft kann man seinen Pilgerausweis bestellen. Eine Spende von 10€ ist ausdrücklich erwünscht. Dieser Pass verpflichtet seinen Besitzer, sich wie ein gesitteter Pilger zu verhalten. Als Gegenleistung dürfen die Pilgerherbergen (refugio, albergue) für etwa 6€ pro Nacht genutzt werden. Viele Unterkünfte haben individuelle Stempel, die den Pass nach und nach zu einem kleinen persönlichen Schatz machen. Ganz zum Schluss dient er als Nachweis, um sich seine offizielle Pilger-Urkunde in Santiago abzuholen. Auf den letzten 100 km werden zwei Stempel pro Tag als Nachweis, dass man zu Fuß unterwegs war, zur Pilgerpflicht. Da die letzten 100 km aber sowieso ziemlich "spannend" waren, werde ich darauf im nächsten Beitrag noch etwas genauer eingehen.

Die Outdoor-Ausrüstung


Wir haben größtenteils auf super fancy Outdoor-Ausrüstung verzichtet. Die Tour sollte uns an der spanischen Nordküste entlangführen, nicht auf den Mount Everest. Dennoch gibt es einige wichtige, die Strapazen des Weges vereinfachende Must-Haves. 



  • Wanderrucksack mit Fassungsvermögen von mind. 30l + Air-System + Regenschutz, nicht schwerer als 1,5 kg
  • Ein Paar gut eingelaufene (Trail-) Running Schuhe (z.B.Asics, La Sportiva) 
  • Noch ein Paar gut eingelaufene (Trail-) Running Schuhe oder leichte Wanderschuhe (z.B. Mammut)* 
  • Multifunktionsschlauchschal“ und/oder Sonnenhut: früh schützt er vor Kälte, am Tag rettet er den Kopf vor zu viel Hitze
  • Leichte synthetische Zip-Off-Wanderhose, am besten mit verschließbaren Taschen (z.B. Bergans)
  • 3x Wandersocken (1x lange (z.B. FALKE), 2x Sneaker (z.B. Quechua))
  • Regenjacke: unbedingt Wassersäule beachten und lieber etwas mehr bezahlen (z.B. Mammut)
  • Ultraleicht-Schlafsack (wir haben auf das günstigste Produkt von Decathlon gesetzt und es hat uns nicht enttäuscht)** 
  • 2x Mikrofaser - Reisehandtücher
  • Wanderstöcke (Die Hälfte der Strecke sind wir mit je einem Stock aus dem Wald gelaufen, die Wanderstöcke haben aber tatsächlich einen entlastenden Effekt)

* Diese Empfehlung gilt für die Route Santander – Santiago. Die Strecke ab Irún ist um einiges bergiger. Hier sind mindestens mittelhohe Wanderschuhe sinnvoll, da diese mehr Halt bieten. Auch auf rutschigen Waldwegen haben sich meine stabilen, wasserfesten Lederwanderschuhe bewährt, aaaaber alle, wirklich ALLE Pilger, die wir trafen, hatten Blasen, während wir mit den Running Schuhen diesbezüglich nur minimale Probleme hatten. Ein täglicher Wechsel ist auf jeden Fall höchst sinnvoll. 

** Warum die Decathlonisierung das Pilgererlebnis auch verkomplizieren kann, erkläre ich im nächsten Blogpost.

Y está! Das war’s an Outdoor-Kram. Aber der Rucksack ist ja noch lange nicht voll… 


Die Schuhe sind wohl das umstrittenste Thema. Wir empfehlen zwei Paar gut eingelaufene, flache Laufschuhe. 

Die Packliste 


Hier stellvertretend meine weibliche Packliste. Warum so detailliert? Eigentlich fehlt an dieser Stelle sogar noch die wichtigste dritte Spalte: Das Gewicht. Da sich das Gepäck nicht von selbst trägt und täglich mindestens noch 1,5l Wasser und ein Beutel mit Nahrung dazukommen, sollte der Inhalt des Rucksackes auf das Nötigste reduziert sein. Auch wenn es mir schwerfiel, verzichtete ich zum Beispiel auf meine Kamera, etwas zu lesen und unnötige Wechselsachen. Insgesamt hatte ich ca. 8,5 kg Gesamtgepäck. Ich hätte manchmal gern weniger getragen, aber alle unten aufgeführten Dinge  bis auf den Regenponcho habe ich tatsächlich benötigt. 

Klamotten
Yoga-Fitnesshose (extra leicht, lang)
(inkl. Tagesoutfit)
Zipper-Wanderhose Bergans

Kurze Shorts 

3x Wandersocken

3x T-Shirt 

Dünnes Langarmshirt

1x Bikini 

3x Schlüppi 

Regenjacke

Flipflops

2x Schuhe (Laufschuhe, Wanderschuhe am Fuß) 

Notfall-Regenponcho

Sonnenhut + Schlauchschal
Kosmetik / Apotheke
Pinzette / Knipser / Feile / Nagelschere / 3x Haargummi / 1x Einweg-Rasierer

Zahnbürste + Zahnpasta (Reisegröße)

Kontaktlinsenflüssigkeit 50ml / Wechselkontaktlinsen

2x Duschbad 2in1 (Reisegröße) 

Haut- und Kindercreme 50ml

Deostick

2x Handwaschmittel 50ml (z.B. Rei in der Tube)

Sonnenmilch 50ml / Autan Mückenspray 100ml

Tampons 

10 Wattestäbchen

Brille + Etui

Antiallergikum, Nasenspray, Asthmaspray

Voltaren-Salbe, Hirschtalg, Magnesium-Tabletten, Oropax, Compeed Stick, Ibuprofen, Neoangin)

Pflaster (+ BLASENPFLASTER) 
Kleinzeug
Kleines Handtuch + Badehandtuch 

Wanderführer Rother

Dünner Schlafsack

Mini-Kissen

2m-Schnurr + 4 Klammern in Zipper-Beutel

Reisetagebuch + Kuli

Metall-Becher

1 Rolle Klopapier / 1x Feuchtes Toilettenpapier / 1x Hygienetücher
Technik
Ladegerät Telefon + Uhr

Power Bank

Telefon / Kopfhörer

Stirnlampe mit neuen Batterien 
AM KÖRPER
CREDENCIAL

Rucksack + Trinkflasche 0,5l

Geldbörse (cash, EC-Karte, Krankenkarte, Ausweis, Führerschein)

Gürteltasche

Taschenmesser

Ist das Gepäck komplett, kann es eigentlich losgehen! Fraglich nur, wie man seine Nächte verbringen möchte. Am besten vertraut man hier seiner inneren Stimme. Wie die Menschen auf dem Camino sind auch die Herbergen vielseitig. Anhänger gepflegter ****Hotels werden in den Herbergen vermutlich Tränen vergießen. Diejenigen, die früher Schullandheime mochten, werden sie dagegen lieben.
Im nächsten Blogpost folgen Informationen zur Herbergssituation auf dem Küstenweg mit persönlichen Empfehlungen sowie ein paar kurze Anekdoten vom Weg und eine Vorlage für ein schnell gebasteltes, leichtes Pilgertagebuch. 
Buen camino y hasta pronto, amigos!