Donnerstag, 26. März 2020

Camino del Norte – Folge dem gelben Pfeil in dir I

Corona macht‘s möglich: Ich reihe mich ein in eine Unmenge Blogartikel über das Pilgern, ein To-Do vieler nunmehr auch jüngerer Leute auf ihrer Bucket List – spätestens seit Influencer den Hashtag #wanderlust mit Hochglanzfotos von Naturparadiesen populär machten oder das künstlerisch vielfach verarbeitete Motiv „on the road“ wieder hip geworden ist, weil assoziiert mit Autonomieerfahrungen und dem Ausbruch aus kompetitiven kapitalistischen Strukturen.

Um auf dieser Welle mitzureiten, hätte ich meinem Post ein Zitat Henry D. Thoreaus voranstellen, vielleicht die Romantiker zitieren können, die schon vor über 200 Jahren Waldeinsamkeit propagierten, aber ich verkneife es mir lieber. Denn es spiegelt nicht die Pilger-Erfahrung wider, die ich im September 2018 gemacht habe. 
Während Christopher in Into the wild die Askese und menschliche Isolation frönt, ist das Pilgern eher mit einer materiellen Askese unter körperlicher Belastung zu vergleichen. 
Das heißt zusammengefasst: Acht Kilo Gepäck, jeden Tag ein neuer Ort, ein bisschen Waldeinsamkeit, aber auch Etappen mit müden Muskeln und schmerzenden Gliedern entlang vielbefahrener Fernstraßen oder durch quirlige Dörfer und stickige Städte und obendrauf sehr viel räumliche sowie geistige Nähe zu „fremden Gleichgesinnten“. 

Camino del Norte – spanischer Küstenweg


Die Wahl für den richtigen Weg war schnell getroffen: Der noch nicht so überlaufene Camino der Norte, eine Variante des Jakobsweges entlang der spanischen Nordküste mit dem Ziel Santiago de Compostela. Der Norden Spaniens ist erfrischend grün und fruchtbar. Es gibt wohl mehr Kühe als Menschen. Durch den Golf von Biskaya ist die Luft herrlich, die Wärme ist auch im Sommer relativ erträglich. Die Pilger-Infrastruktur ist bestens, die Wege für Anfänger nicht extrem schwer. Der Weg startet im baskischen Irún, das ca. 808 km von Santiago entfernt liegt. Wir liefen ihn ab Santander und hatten laut Karte damit rund 520 km vor uns. 



Wir entschieden uns nach einigen größeren Probewanderungen zu zweit zu laufen. Tempo und Charakter passten. Während solcher Probewanderungen können Schuhe getestet und grundlegende Fragen wie folgende diskutiert werden. 
  • Was ist der Plan, wenn es einer (körperlich, krankheitsbedingt) nicht schafft? 
  • Schließen wir uns anderen Pilgern an?
  • Schotten wir uns ab?
  • Hotel und/oder Herberge?
  • Erlauben wir es uns, auch mal zu „versagen“ – den Bus/Zug zu nehmen? 
Nachdem wir zu diesen Fragen einen Konsens fanden, einigten wir uns ebenfalls darauf, dass jeder einen Reiseführer im Gepäck haben sollte. Sie wurden später nur noch liebevoll „der Gelbe“  und „der Rote“ genannt und beide sind ausdrücklich zu empfehlen. 


Vorbereitung und Etappen 


Im Vorfeld buchten wir die Flüge und steckten somit den Zeitraum und damit auch die ungefähren Etappen ab. Wären wir beruflich ungebunden gewesen, hätten wir darauf wohl verzichtet. So aber hieß es drei Wochen, 18 Etappen, ein Erholungstag und ein Touri-Tag in Santiago de Compostela. Diese Planung war Fluch und Segen zugleich. 



Wir starteten früh am Morgen nach einer unruhigen Nacht in einem schrulligen Hotel vor den Toren Santanders und liefen geleitet von unzähligen gelben Pfeilen innerhalb der Regionen Kantabrien, Asturien und Galicien nach Santiago de Compostela. Insgesamt umfasst diese Strecke etwas mehr als 500 km. Die Angaben der Reiseführer decken sich in etwa mit denen meiner Apple Watch. 

  1. Santander - Requejada → 22 km
  2. Requejada - Comillas → 32 km
  3. Comillas - Colombres → 20km (12 km mit dem Zug)
  4. Colombres - Poo de Llanes → 28 km 
  5. Poo de Llanes - Ribadesella → 27,5 km
  6. Ribadesella - Villaviciosa → 37 km
  7. Villaviciosa - Gijon → 22 km

Gijon - freier Tag (15 km gelaufen)

  1. Gijon (Veriña) - San Martin (Piedras Blancas) → 27 km
  2. San Martin - Soto de Luiña → 32 km 
  3. Soto de Luiña - Canero → 27 km
  4. Canero - Navia → 27 km (+ 11 km Bus bis La Caridad)
  5. La Caridad - Ribadeo → 20,5 km
  6. Ribadeo - Vilanova de Lourenza → 29 km
  7. Vilanova de Lourenza - O-Xistral Castromaior → 32 km
  8. O-Xistral Castromaior - Baamonde → 34 km
  9. Baamonde - Sobrado dos Monxes → 34 km
  10. Sobrado - Salceda → 34 km
  11. Salceda - Santiago  27 km 

Das ergibt in der Summe 512 + 15 km (freier Tag) reine Fußkilometer und knapp 900000 Schritte inklusive aller gewollten und ungewollten Umwege. Die Etappen auf den letzten 150 km waren länger und trotzdem einfacher zu bewältigen, da das Gelände flacher wird, wir von Tag zu Tag fitter wurden und die Vorfreude auf Santiago zusätzlich die Schmerzen nahm. 


Ausblick


Und weil alles so spannend war und wir ewig Zeit damit verbrachten, uns im Vorfeld so gut wie möglich vorzubereiten, will ich nicht darauf verzichten, ein paar Infos zum Credencial (dem Pilgerausweis), zur Packliste, einigen Herbergen und zur Ausrüstung zusammenzutragen und alles mit ein paar Fotos zu spicken. 
Möge diese Zusammenstellung Hilfe für zukünftige PilgerInnen sein oder schlicht mir als Erinnerung an die wohl intensivste Reise meines Lebens dienen. Mit peinlich-poetischen Erkenntnissen und Lebensweisheiten à la Clara Louise halte ich mich gezielt zurück. Die soll mal jeder für sich selbst machen. 
Also dann, buen camino!

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